Vielfältige Zirkuswelt und klassischer Zirkus heute
mit Fotos aus den Jahren 2004-2019
Bilder - 1: Stallzelte des Circus Europa auf einem Platz in Hamburg-Farmsen. - 2: Feuerspucker im Circus Belly; im Hintergrund ein Schimmer der Abendsonne. - 3: Älteres Bild vom Schweizer Circus Monti, dem "Theaterzirkus".
Der Zirkus der Neuzeit
Die Geburtsstunde des neuzeitlichen Zirkus wird in Fachkreisen meist auf die 1768 eröffnete Reitschule des britischen Offiziers Philip Astley (1742-1814) zurückgeführt, der öffentlich präsentierte Reitkunststücke mit Darbietungen von Akrobaten und Komikern zu einem Programm zusammenstellte. Die drei Säulen - Tiere, Clowns und Akrobaten - bildeten von nun an den Maßstab für Zirkusprogramme weltweit. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden im Zuge der Kolonialisierung verstärkt exotische Tiere nach Europa und Amerika eingeführt, um Zoos und Menagerien zu bereichern. Damals fanden Dressuren mit Raubtieren, Elefanten und vielen weiteren Arten Eingang in die Zirkusmanegen der Welt. In den Darbietungen der Akrobaten hingegen lebten zum Teil jahrhundertealte Kunststücke fort, mit denen fahrende Gaukler schon in der Antike und im Mittelalter auf Jahrmärkten und Volksfesten ihr Publikum faszinierten. Auch Clownerie und Pantomime gab es schon lange vor der Geburt des neuzeitlichen, "klassischen" Zirkus.
"Klassisch" wird der Traditionszirkus genannt, weil er in der Kultur-Epoche der Klassik entstanden ist. Traditionell wird er - in Anlehnung an die lateinische Antike - mit "C" geschrieben: "Circus". Der Duden erlaubt beide Schreibweisen, empfiehlt aber inzwischen "Zirkus" mit "Z" und "k". Diese Schreibweise verwenden wir auch auf unserer Seite, außer bei Eigennamen von Zirkussen mit "C".
Oben: Schöne Zirkusplätze in Dänemark. - 1+2: Cirkus Arena in Sönderborg. - 3: Der frühere Cirkus Benneweis in Aabenraa.
Bilder 1-3: Hochseiltruppe im dänischen Cirkus Arena, mit Abgang über das Schrägseil (3). Seiltänzer waren schon vor der Geburt des neuzeitlichen Zirkus auf Jahrmärkten unterwegs. - 4: Abgang der Trapezleute über das Fangnetz im Circus Krone.
Weltweite Vielfalt
Heute, im 21. Jahrhundert, ist die Welt des Zirkus vielfältiger als je zuvor. Sehr unterschiedliche Formate wandernder und stationärer Zirkus-, Akrobaten- und Varietéshows werden in Zelten, Hallen und Theatern dargeboten. Nicht selten ist Zirkuskunst als volkstümlicher Kulturzweig von den Bräuchen und Traditionen eines Landes oder einer Region stark beeinflusst. Dennoch ist die Zirkuswelt wie eine große, internationale Familie, da sich viele Elemente ungeachtet regionaler Unterschiede ähneln. Manche Artisten gehen querbeet in unterschiedlichen Zirkusformen auf Tournee.
Auf den großen Zirkusfestivals treffen verschiedenste Stile und Nationalitäten aufeinander. Gute Darbietungen werden weltumspannend von Zirkussen unter Vertrag genommen, sodass es laufend zu einem länderübergreifenden Austausch kommt. In Zeiten politischer Konflikte wie des Kalten Krieges (20. Jahrhundert) setzte sich der Zirkus über eiserne Vorhänge hinweg und verpflichtete Artisten der jeweils gegnerischen Seite in Verträgen. Ein Beispiel aus neuerer Zeit war 2008 eine Show der niederländischen Agentur Stardust Entertainment mit Artisten aus Nordkorea.
Bilder oben - 1: Koreanische Flugtrapez-Truppe unter der Kuppel des Krone-Baus. - 2: Weltklasse: Die Truppe Sokolov (Russland) mit Schleuderbrett-Akrobatik im Schweizer Circus Knie. - 3: Trio Belissimo mit Kontorsionistik bei Knie.
Bilder oben - 1: Stuhlbalancen in einem ehemaligen China-Zirkus. - 2: Rola-Rola-Balancen im Circus Roncalli. - 3: Artisten-Duo am Fangstuhl im Circus Probst. - 4: Seltene Säbelbalancen in einer Weihnachtsshow des norddeutschen Zirkus Zaretti. - 5: Sensationeller Perche-Akt: das Duo Stauberti im Circus Krone.
Veränderungen und Trends
Die Welt des Zirkus verändert sich fortlaufend. Im 21. Jahrhundert erleben wir das Wiedererstarken stationärer Zirkusshows, die zu einer festgelegten Zeit an einem bestimmten Ort stattfinden. Teilweise geschieht dies unter dem Titel "Zirkusfestival", auch wenn nicht immer Preisverleihungen und Wettbewerb Bestandteile der Veranstaltungen sind. Ganz besonders in Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz gibt es um Weihnachten und Silvester herum das blühende Geschäft der sogenannten "Weihnachts- und Winterzirkusse".
Aber auch von dem, was im Programm geboten und wie es inszeniert wird, unterscheiden sich die Zirkusse zunehmend voneinander. Neben etlichen - vor allem kleineren - klassischen Zirkussen mit Tieren, Clowns und Akrobaten oder manchen Shows, in denen Pferde im Mittelpunkt stehen, gibt es zahlreiche Konzepte, die (meist ohne Tiere) neue Wege beschreiten. Wie in anderen Showbranchen ist im Zirkus das gesamte Showerlebnis mit Lichteffekten und Choreografien viel wichtiger geworden als früher. Einige Shows aus den Bereichen Horror, Freaks, Burlesque und Erotik wenden sich zudem an ein bestimmtes Zielpublikum.
Bilder - 1: Menschenschlangen vor dem Roncalli-Weihnachtscircus in Osnabrück. - 2: Publikum in der Pause des dänischen Cirkus Arena. - 3: Ein etwas anderes Format: Einlass im Zirkus des Horrors der Familie Sperlich.
Bilder oben - 1: Flic Flac war einer der ersten Zirkusse mit einer Motorradkugel. - 2: Das Todes- oder Riesenrad (hier im C. Paul Busch) erfreut sich schon lange großer Beliebtheit. - 3: Heute selten: die Bedienung von Scheinwerfern auf den Masten (C. Arena, Dänemark). - 4: Im klassischen Zirkus gibt es meistens Ansager/innen - und immer öfter Gesangseinlagen.
Bilder - 1: Stirnbalancen in einem ehemaligen China-Zirkus. - 2+3: Handstandartist und Russischer Barren im Circus Probst. -
4: Klassischer Drahtseilakt mit Erik Niemen im Circus Kone.
"Neuer Circus" (Nouveau Cirque)
Einen guten Ruf insbesondere in gut situierten, städtischen Bevölkerungsgruppen genießen Produktionen aus dem Umfeld des Noveau Cirque, der sich als eigene Form unter den darstellenden Künsten (performing arts) in den späten 1960er Jahren entwickelte. Die Strömung besann sich auf ältere Wurzeln in den 1920er Jahren und wollte den Zirkus sozusagen neu erfinden. Von Frankreich ausgehend, nahm sie in den 1970ern Einfluss in verschiedenen Ländern, schwerpunktmäßig in England, Australien, den USA (Westküste) und in Kanada. Dort, genauer gesagt in der ostkanadischen Stadt Montréal, Hauptstadt der französischsprachigen Provinz Québec, etablierte sich Anfang der 1980er Jahre ein Zentrum für Noveau Cirque, dessen Aushängeschild der weltbekannte Cirque du Soleil wurde, der inzwischen einem Konsortium von Investmentgruppen aus den USA und China gehört und in allen Kontinenten mit Hallen- und Zeltshows auf Tournee geht (s. auch unter Zirkus in Europa).
Nouveau Cirque hat nur teilweise mit Zirkus im eigentlichen Sinn zu tun, da die Darstellungsform sich mit anderen Künsten wie Tanz, Theater und Musical überschneidet - wobei fairerweise erwähnt werden muss, dass bereits die großen Zirkusse im 19. Jahrhundert mit sogenannten "Pantomimen" (thematischen Manegenschaustücken) Mischformen verschiedener Künste darboten. Das Hauptaugenmerk im Nouveau Cirque liegt auf dem ästhetischen Effekt: Inszenierung und künstlerischer Ausdruck stehen an erster Stelle, gerne wird ein Charakter oder eine Geschichte entwickelt. Die eigentliche artistische Leistung tritt dabei nicht selten in den Hintergrund, einige zirkustypische Elemente wie Spannung oder Nervenkitzel fehlen weitgehend. Statt Glitzerkostümen tragen die Artisten meist lässige, moderne Alltagskleidung. Auf Tierdarbietungen wurde von Anfang an verzichtet.
Bilder: Der Cirque du Soleil mit "Corteo" in Hamburg-Moorfleet. - 1: Die gewaltigen Zeltanlagen bei Nacht. - 2: Blick auf die verhängte Bühne; im Cirque du Soleil darf nicht fotografiert werden. - 3: Container und Personal auf dem Zirkusplatz.
Der Cirque du Soleil ist vielleicht nicht mal das typischste Beispiel für Nouveau Cirque, denn mit seiner Monumentalität, der Auswahl der Nummern (Einflüsse des klassischen Zirkus, z.B. Sensationsakrobatik) sowie mit dem Einsatz origineller Kostüme hebt er sich von vielen anderen Produktionen des Neuen Circus ab. Doch auch im "Sonnenzirkus" wird nicht von "Nummern", sondern von "Szenen" gesprochen, die in die Rahmenhandlung der Show eingebettet sind. Festgelegte Rollen in den Szenen können mit austauschbaren Akteuren (= Artisten) besetzt werden. So erhalten die Choreografie und die Gesamtleistung des Ensembles Vorrang vor artistischen Einzelleistungen. Passend dazu werden in Programmheften an erster Stelle Produzenten, Regisseure und Designer erwähnt. - Schöne Beispiele für Neuen Zirkus liefern der in Deutschland reisende Cirque Bouffon mit persönlicher Atmosphäre und der Schweizer "Theater"-Circus Monti, der ursprünglich aus einer anderen Tradition kam.
Bilder oben - 1: Gut besuchter Festbau des Circus Krone in München (s. auch 2+3). - 2: Schleuderbrett-Truppe. - 3: Russische Schaukel. - 4: Das alte Konzept "Circus unter Wasser" mit der Manege als Bassin wird ab und zu gezeigt (hier im C. Voyage).
Bilder - 1: Klassisches Clown-Trio mit Weißclown und zwei Dummen Augusten. - 2: Reck-Nummer im Circus Krone. -
3: Handvoltigen, Männergruppe im Circus Roncalli. - 4: Jongleure gehören zu den ureigensten Disziplinen im Zirkus.
Nouveau Cirque versus klassischer Zirkus?
Das wohl bedeutendste Zirkusfestival des Nouveau Cirque ist das Festival des Circus von Morgen (Festival du Cirque de Demain) in Paris. Die deutsche Circuszeitung kommentierte im Februar 2012 in einer Programmrezension: "Wie eine Parallelwelt hat sich die mit staatlichen Mitteln aufgeblähte Szene in Frankreich entwickelt und den Circus, jedenfalls das, was der Cirque Nouveau unter diesem Begriff versteht, zum Minderheitenprogramm gemacht, das nachts auf Arte versendet wird. Den Kontakt zum ursprünglichen Circus [...] hat diese Szene längst verloren." Der Kommentar macht die Kluft zwischen Nouveau Cirque und klassischem Zirkus deutlich, die sich nicht zuletzt in der Verschiedenartigkeit des Publikums zeigt. Problematisch als Spannungsfeld werden die Unterschiede allerdings erst dann, wenn Politik oder Medien den Nouveau Cirque als Argument gegen den klassischen Zirkus ins Feld führen. Ansonsten bereichert der Noveau Cirque die Szene zweifellos. Es gab sogar schon gelungene Beispiele für Programme, in denen klassischer Zirkus und Nouveau Cirque erfolgreich miteinander kombiniert wurden.
Fortbestand des Traditionszirkus?
Ungeachtet aller Veränderungen ist der klassische Zirkus nicht ganz aus der Mode gekommen. Das wird in Deutschland spätestens zur Weihnachtszeit deutlich, wenn die Weihnachtszirkusse wie Pilze aus dem Boden schießen, unter denen sich nach wie vor klassische Formate befinden. Moderne Großproduktionen, die mit Containern und ohne Tiere reisen und deren Artisten meist im Hotel wohnen und nur zur Vorstellung auf den Zirkusplatz kommen, können trotz ihrer tollen Programme und sensationellen Artistik letztlich nicht die Atmosphäre schaffen, die man vom traditionellen Wanderzirkus kennt.
Zirkusleute, Schausteller, "Fahrende", die im Zusammenspiel von Mensch und Tier, unter Aufbietung größter Anstrengungen, unter Inkaufnahme höchsten Risikos Menschen zum Lachen, zum Staunen, zum Jubeln bringen - manchmal vielleicht sogar zum Weinen, wenn die Poesie gelingt - sie sind weiter auf Reisen. Man findet allerdings kaum noch größere Zirkusse, die den klassischen Zirkus auf hohem Niveau pflegen. Insbesondere die typische Live-Musik ist - mit Ausnahme einiger Weihnachtszirkusse - zu einer absoluten Seltenheit geworden. In Deutschland sind der Circus Probst und der renommierte Circus Krone momentan wohl die einzigen größeren Zirkusse, die noch mit Programmen im (weitgehend) klassischen Stil durchs Land reisen, wobei auch Krone einen Großteil der Musik aus der Konserve liefert. Ohne Live-Musik kommen als gehobene Traditionszirkusse noch die Familienzirkusse William und Busch-Berolina hinzu, während der Großzirkus Charles Knie schon auf ein verändertes Konzept umgestellt hat. Eine Live-Band ist ansonsten noch im Theater-Circus Roncalli anzutreffen, der vom Konzept aber keinen Traditionszirkus (mehr) liefert. Die meisten Zirkusse verzichten heute schon allein aus Kostengründen auf ein Orchester .
Bilder links - 1: Schlappseil mit Antipodenspielen im früheren Zirkus Probst (Ost). - 2: Tellerjongleure im Circus Belly.
Bild Mitte: Atmosphäre im Zirkuszelt, mit Hochseiltruppe und Orchester (Circus Barelli, nicht mehr auf Tournee).
Bilder rechts - 1: Requisiteure beim Abbau des Zentralkäfigs im Circus Belly. - 2: Aufbau des Fangnetzes im Circus Krone.
Musik als wichtiger Bestandteil
Was den Musikstil angeht, so sind Techno, Hip-Hop oder Rock, aber auch viele romantische Klänge aus Pop und leichter Klassik, immer mehr an die Stelle traditioneller Zirkusmusik getreten. Das ist nicht immer zum Nachteil der Nummern: Die meisten Artisten bringen "ihre" Musik auf Tonträger mit, die genau auf ihre Nummer zugeschnitten ist und beim Betrachter einen bestimmten, gewünschten Effekt erzielt. Trotzdem könnte ein Zirkus theoretisch (wie früher der Circus Barum) darauf bestehen, dass ein Orchester - falls vorhanden - die Instrumentierung übernimmt.
Mit einem Orchester haben alle auftretenden Artisten "gleiche" Bedingungen hinsichtlich des Klangteppichs. Um es an einem Beispiel zu erklären: Wenn ein Artist auf einem Tonträger Show must go on von Queen mitbringt, oder Caruso von Luciano Pavarotti , dann ist der Effekt seiner Nummer schon fast zur Hälfte der Stimme von Pavarotti bzw. Freddy Mercury oder dem "Bombast-Sound" der Musik geschuldet. Anders ist es, wenn ein Orchester diese Melodien instrumental vertont - einmal abgesehen davon, dass mit dem Einsatz von Live-Musikern die Qualität des gesamten Programms steigt. Allerdings hat man auch in Fernsehsendungen die Live-Untermalung bei Gesangsauftritten stark reduziert. In Zirkussen sind heute bisweilen Sänger/innen anzutreffen, um bestimmte Nummern zu untermalen, was aber nicht dem eigentlichen Sinn von Zirkusmusik entspricht. Gesangseinlagen passen eher zum Auftakt oder Ende eines Programms. Eine Mittellösung mit eigener Wirkung ist eine eigens für den Zirkus komponierte Instrumentalmusik vom Tonträger, wie sie z.B. im aktuellen Programm des Circus Krone eingesetzt wird (dort allerdings ergänzt um ein paar Live-Einlagen).
Bilder oben - 1: Musiker des Circus Krone spielen nach der Vorstellung im Foyer. - 2: Clownskapelle beim Empfang zum Circusfestival von Monte-Carlo. - 3: Direktor Ralf Huppertz spielt am Flügel in der Pause des Schweriner Weihnachtzirkus.
Bilder unten - 1: Ein Fanfarenzug der Fürsten zu Monaco eröffnet das dortige Festival - 2: Orchester im Zirkusbau von St. Petersburg vor Beginn der Vorstellung (davor eine Staubsaugerwerbung). - 3: Alte Wurlitzer Orgel im Schweizer Circus Knie.
Noch bis in die 1980er Jahre, in der Kindheit unseres Chefredakteurs, waren Big-Bands mit 10 und mehr Musikern keine Seltenheit. Sie bestanden überwiegend aus Blech- und Holzbläsern sowie einem Schlagzeug, einem Klavier (oder Keyboard) und einem E-Bass (in jüngerer Zeit) oder auch einer zusätzlichen Gitarre; manchmal kamen Violine und/oder Akkordeon hinzu. In den zirkustypischen Arrangements wird Musik aus allen Sparten verarbeitet: Rock, Pop, Klassik, Jazz, Schlager, Chanson, Volksmusik, Musical, Filmmusik. Die Stücke werden im zirkustypischen Klang umgesetzt und - teils mit kommentierenden Effekten, z.B. des Schlagzeugs - an das Geschehen in der Nummer angepasst. Der Dirigent oder Band-Leader hat im besten Fall sowohl seine Musiker als auch die Artisten in der Manege jederzeit im Blick.
Zur Eröffnung und am Schluss des Programms wurden früher meist Zirkusmärsche gespielt, so z.B. Salto mortale, Einzug der Gladiatoren, Erinnerung an Zirkus Renz oder der russische Filmmarsch Cyrk (noch früher waren es häufig Militärmärsche wie Alte Kameraden oder Radetzky-Marsch). Auch die verspielten Melodien des italienischen Filmkomponisten Nino Rota waren (und sind) beliebt. Daneben gibt es anscheinend Stücke, die ohne Wissen um Titel und Komponist in jeder Generation weitergegeben werden: Als ich einst den ukrainischen Orchester-Chef des Circus Krone nach zwei Melodien fragte, die häufig beim Abbau des Raubtierkäfigs gespielt wurden, antwortete er, es handele sich um "balkanische Musik", die ohne Vorlage gespielt würde. Vermutlich ging sie auf Zigeuner-Melodien zurück.
Bilder obere Reihe: In den Winterprogrammen des Circus Krone in München spielt ein gutes Orchester. - Untere Reihe: Während traditionelle Clowns uns im Kampf mit der Tücke des Objekts den Spiegel vorhalten (1), treiben heute viele Spaßmacher Scherze mit Teilnehmern aus dem Publikum, wie hier im Cirkus Dannebrog mit unserem Webmaster (2-4).
Folklore und multi-nationales Ereignis
Besonders schön sind klassische Zirkusprogramme, in denen noch Folklore der beteiligten Länder gepflegt wird. Dazu trägt die Musik in landestypischen Klängen ebenso bei wie die Ausstattung mit folkloristischen Kostümen. Unterschiedliche Nationalitäten mit ihren je eigenen Temperamenten kommen im klassischen Zirkus mitunter besonders gut zur Geltung. Seien es Italiener, die zum Takt einer schmissigen Tarantella ihre Ikarier-Künste zum Besten geben; temperamentvolle Südamerikaner, die ihr Publikum zu Samba-Rhythmen auf dem Hochseil in Begeisterung versetzen; Chinesen, die in perfekter Choreografie schier unglaubliche Balanceleistungen vollbringen; Ungarn, die auf dem Rücken trabender Pferde an waghalsige Reiter der Puszta erinnern; oder Russen, die beim Mehrfach-Salto vom Schleuderbrett ihren slawischen Stolz gleich mit durch die Luft katapultieren: Sie alle bringen ihre eigene Tradition mit unter die Zeltkuppel.
Der Schriftsteller Ernest Hemingway sagte einmal: "Circus ist die einzige nicht an die Lebensjahre gebundene Freude, die man sich für Geld kaufen kann." Das klingt etwas kapitalgebunden, aber es macht doch deutlich, wie groß die mögliche Bandbreite eines Zirkuspublikums ist. Es kommt vor allem auf die Kommunen, die Behörden und die große Politik an, dass dem (klassischen) Zirkus, nicht nur in Westeuropa, wieder mehr öffentliche Geltung verschafft wird